So wird aus Chicoréewurzeln eine vielseitige Basischemikalie
Mit ihren Reservekohlehydraten könnte die Rübe zum Rohstoff für Polymere und Basischemikalien werden.
Author Dominik Stephan
Eine Verbindung, die man sich merken sollte: Lange Zeit war 5-Hydroxymethylfurfural, kurz HMF, den Meisten lediglich als Nachweis stark verarbeiteter Lebensmittel bekannt. Die Aldehyd-/Furanverbindung entsteht bei der thermischen Zersetzung von Zucker oder anderen Kohlenhydraten und ist unter andgöterem bei der Maillard-Reaktion für das typische Aroma gebräunter Speisen verantwortlich. Jetzt kommen zunehmend die Chemiker auf den Geschmack, die in HMF eine mögliche Plattformchemikalie für eine biobasierte Polymerchemie entdeckt haben.
Auf über 175 Chemikalien, vom PET-Ersatzstoff bis zu Lösungsmitteln, die aus HMF (Summenformel C6H6O3) hergestellt werden könnten, kommt etwa die AVA. Damit empfiehlt sich HMF nach Ansicht der Experten als sogenannte Plattformchemikalie, aus der sich – ähnlich wie beim fossilen Naphtha - eine Vielzahl weiterer Produkte synthetisieren ließe. Derartige Stoffe (wie etwa Lysin, Mucon- und Bernsteinsäure) sind gefragt, wenn es um die Defossilierung der stofflichen Wertschöpfungsketten geht. Und doch haben, allen Nachhaltigkeitsdebatten zum Trotz, die Rohmaterialien vom Acker keinen leichten Stand. Zu groß ist in Teilen der Bevölkerung das Misstrauen, Biopolymere würden den Ärmsten der Welt das Essen vom Teller stehlen.
Und was ist mit Feldfrüchten, die gar keiner essen mag? So etwa beim Chicorée – schon der Salat ist mit seinem bitteren Geschmack nicht jedermanns Sache. Aber die dicke Wurzelrübe der Pflanze schafft es auch bei überzeugten Gemüsefans nicht auf den Teller. Nachdem in der Treiberei die typischen Knospen gesprossen sind, heißt es daher für den Chicorée: Rübe ab! Etwa 800.000 Tonnen Wurzeln werden in Europa so jedes Jahr gekappt und als Kompost entsorgt.
Dabei geht einiges verloren: Der Milchsaft der Rüben enthält im Herbst durchschnittlich 15 bis 20 Prozent Inulin, ein Mehrfachzucker auf Basis von Fructose. Der Energiespeicher der Pflanze wandert ungenutzt zum Abfall. Dabei wurden schon im 18. Jahrhundert die Wurzeln geröstet, um aus ihnen einen preiswerten Kaffeeersatz herzustellen.
Geröstet - und gerührt: HMF aus der Wurzel
Moment Mal – geröstete Zucker? War da nicht etwas mit HMF? Tatsächlich kann aus der Chicorée-Wurzel genau wie etwa aus Fructose HMF gewinnen – Doch im Gegensatz zum Fruchtzucker wird hier kein wertvolles Nahrungsmittel in den Reaktor geworfen, erklärt Agrartechnikerin Prof. Dr. Andrea Kruse von der Universität Hohenheim. Dafür hat Kruse zusammen mit ihrem Team eine mehrschrittige Prozesskette entwickelt, mit der Landwirte zum Chemieproduzenten werden könnten.